Die ewig Hungrigen

Prag 1989: Ein niederländischer Botschafter, der mit seinen Kindern all die Freude in seinem Leben begraben hat. Ein amerikanischer Tourist, der auf der Suche nach einem Mitternachtssnack ist.  Eine Beobachtung von einer Entführung (oder doch einer Verhaftung?). Ein amerikanischer Ostblockspezialist, der Handschuhe trägt, weil er Angst hat, die Welt zu berühren.

Leon de Winters Roman ist nur augenscheinlich ein Kriminalroman, damals politisch brisant und mit Kritik an das subversive Europa der ’89er des  letzten Jahrhunderts gespickt. Nicht nur der Botschafter Hoffman hat Hunger. Auch der Tourist Freddy Mancini giert nach Nahrung für die Seele, nach einer Auffüllung des Fehlenden ganz tief drin. Abstoßende Körperlichkeiten und genaue Beschreibungen dieser, lassen den Leser ekeln vor dem menschlichen Körper. Essen als Erfüllung in einem Land des Umbruchs und der Leere, die nicht funktionieren kann, weil die Essenz, das Abwesende nicht gestopft werden kann, obwohl aus den Protagonisten Weihnachtsgänse werden.

Mancini ist blind und wird es bleiben, Hoffman jedoch sucht die Erkenntnis in der Philosophie und liest in seiner Schlaflosigkeit Baruch de Spinoza, den de Winter dem Leser durch den Botschafter erklärt.

„Einen einzigen wahren Gedanken brauchte er nur, eine einzige Idee, die über jeden Zweifel erhaben war.“ (S.402)

Doch der Philosoph kann ihm diesen Wunsch nicht erfüllen. Der Blinde wird verhaftet, der sehen wollende kommt noch mal davon. Und kauft sich Spinozas Biographie.

de Winter, Leon: Hoffmans Hunger. Diogenes Verlag Zürich: 1995    
Taschenbuch
416 Seiten
erschienen am 01. Oktober 1995
ISBN: 978-3-257-22831-1