Welt 2.0

Als Baby vom Blitz getroffen, ist ziemlich schnell klar: Konrad Sammer ist auserwählt; von der Natur oder dem Göttlichen erschließt sich erst, als er beginnt, eine Stimme – die Stimme – zu hören. Doch Sammer hat keineswegs darum gebeten.

Als pragmatischer Lokaljournalist mit trockenem Humor geht er allein und zynisch durch die Welt, die in seinen Augen durch Klimawandel und die wirtschaftliche Ausbeutung des Planeten und seiner BewohnerInnen ohnehin dem Untergang geweiht ist – bis außergewöhnliche Ereignisse seinen Weg kreuzen, die Anfangs nur sein Leben ändern, nicht jedoch seine Einstellung.

Hier lässt Hermann Knapp in seinem Roman Der Auserwählte in gewohnter Manier Metaphern real werden und Geschichten und Geschichte in seinen Zeilen ihren Platz finden. Mit Menschen, die sich als Bäume in der Erde verwurzeln, anderen, die empathische Visionen haben und wieder anderen, die alles was sie anfassen, zu Gold wird, schafft der Autor eine Weltuntergangsstimmung abseits von den immergleichen Szenarios eines Roland Emmerich. Ganz nebenbei werden dabei aktuelle Fragen der Menschheit verhandelt, mit der in einer globalen Welt jeder von uns tagtäglich konfrontiert ist: Vom Geburtsglück, dem Kampf zwischen Arm und Reich, wieviel ein Menschenleben wert ist und wie der Kapitalismus eine menschenfeindliche Struktur im Innersten zusammenhält, ist hier die Rede.

Doch was tun? Kann ein Einzelner etwas verändern, als Teil des Systems? Das Absurde und der magische Realismus ist es, dem sich der Autor bedient und sich so direkt an das Gewissen seiner Figuren und damit seiner LeserInnen wendet. Das macht das Buch, das macht das Schreiben von Hermann Knapp aus: Die Geschichte verbindet das Alltägliche mit dem Magischen mit dem Spirituellen.

So schwingt Hermann Knapp seinen rhetorischen Stift wie einen Zauberstab und mahnt uns, dass jeder etwas verändern kann. Und dazu muss man nicht auserwählt sein. Man muss nur auf seine innere Stimme hören – ob natur- oder gottgewollt ist hier bedeutungslos. Der Auserwählte entrückt uns von unserer Welt mit dem Ziel, sie sich noch genauer anzusehen. Das Magische ermöglicht den Blick von oben und reißt die LeserInnen aus ihrer routinierten Lenthargie, denn das Heilige ist geschmacksneutral.

Und so übernimmt Sammer, der zu Beginn nicht einmal die Verantwortung für ein anderes Leben übernehmen will, die Verantwortung für sich selbst und so für die ganze Welt. Der Wunsch eines jeden Einzelnen etwas Besonderes zu sein wird hier im gleichen Atemzug aufgegriffen – und dass man damit auch eine Verantwortung hat. Ob jeder von uns dann auch diese letzten Schritte geht, wie Sammer es tut? Und schon erforschen die Leser wieder ihr Gewissen, ohne es zu merken.

Hermann Knapp ist ein feinsinniger Roman gelungen, der nicht nur gegen Raubtierkapitalismus und Umweltverschmutzung anschreibt, sondern auch klar macht, dass sich niemand gegen seine Bestimmung wehren kann.

 

Knapp, Hermann: Der Auserwählte. Verlag Wortreich: Wien 2019
Klappbroschur
432 Seiten
ISBN 978-3-903091-56-6